Frau

Interview und Text von Brigitte Borchhardt-Birbaumer,
veröffentlicht in der Kunstzeitschrift Vernissage, 2006


B. B-B.: Seit 2003 sind beim Stillen, Tragen und Schlafen ihrer Kinder mehr als 200 gemalte und gezeichnete Säuglings- und Kinderportraits und auch Tonskulpturen entstanden. Was ist daran nach wie vor so interessant?

J. Z.: Die Beziehung zwischen Mutter und Kind betrifft und berührt mich zur Zeit am meisten. Nur wenn ich von etwas berührt bin, kann ich in meiner Arbeit Intensität vermitteln. Außerdem ärgert und motiviert mich, dass anscheinend für jedes Thema im aktuellen Kunstdiskurs ein Platz gefunden wird (an Brüsten nuckelnde Männer?). Lediglich wenn man sich positiv mit dem Thema „Kind“ auseinandersetzt, scheint man wirklich gegen den intellektuellen Geschmack zu verstoßen und an einem Tabu zu kratzen.

B. B-B.: Das Thema Mutter und Kind ist historisch von den Nazis und in Österreich und Deutschland bis heute auch durch die Politik konservativer Parteien missbraucht worden. Die letzte Phase, die sich positiver mit dem Thema befasst hat, war die des so genannten „radikalen Feminismus“ in den sechziger- und siebziger Jahren. Damals hat man sich an die Urzeit-Darstellungen von Muttergöttinnen erinnert. Man dachte damals, dass es vor der patriarchalischen Weltordnung eine matriarchalische gegeben haben könnte. Da wir nach wie vor auch im Christentum in einer Männerkultur leben, ist das Thema natürlich allgemein unbeliebt. Intime Dinge wie Geburt oder Tod werden ja auch aus der Gesellschaft und dem Denken verdrängt, weil sie schmerzlich und unangenehm sind. Ich gebe zu, dass ich mir zuerst mit dem Thema auch schwer getan habe – als Vertreterin einer Generation, die Kinderlosigkeit wollte. Aber wie alles, was man sich genau anschaut, hat sich das durch die Betrachtung geändert. Bei GaleristInnen kommt die Angst dazu, solche Themen nicht verkaufen zu können.
Was unterscheidet denn die letzten Bilder von den Ersten?

J. Z.: Die letzte Serie ist kleiner und dichter geworden, da ich auch im Atelier die Zeit intensiver nutzen muss. In den Tragetuchbildern beschäftige ich mich erstmals mit der Begegnung der Gesichter von Mutter und Kind. Das Motiv ist die Linienführung, die sich zwischen den Gesichtern ergibt. In der Bildkomposition hat mich die Präsenz meines Blickes im Bild interessiert, obwohl nur mein Mund (mit Nasenlöchern) am Bild zu sehen ist.

Unter dem Titel „Leander schläft“ werden jene Werke zusammengefasst, auf denen Judith Zillichs Sohn allein von oben gesehen schlafend erfasst ist. Der damit zusammenhängende Zeitablauf seiner Loslösung beginnt aber mit der Gruppe von Spiegelbeobachtungen des wachsenden Bauches, dieser folgen die symbiotischen Stillbilder; dann erst jene des Kindes allein aus der sogenannten „Vogelperspektive“ des Erwachsenen. Eine Wahrnehmungsuntersuchung nach dem eigenen Erleben der Mutter umfasst den Sehkreis in Art von Ernst Mach, Physiologe des Wiener Kreises, dessen Perspektivkonstruktion schon Maria Lassnig oder Max Peitner beeinflusst haben, vom eigenen Augenwinkel auszugehen.

An die 70 Bilder entstanden in Leanders ersten beiden Jahren , meist 30 x 30 cm, ebenso viele von Simone, meist 20 x 20 cm, in Öl auf Leinwand mit einer in Schichten ausgeklügelten Komplementär-Farbigkeit zur vielgefächerten Hautfarbe (Inkarnat) in zart pastelligem Blau (als „Schattenschale“) vor neutralem Hintergrund.
Über die psychische Befindlichkeit hinaus interessieren die Künstlerin die Probleme der reinen Malerei in der Beobachtung der Realität sowie der formalen Struktur und der Perspektive in der Haltung des Kindes zu Kleid und Brust der Mutter. Die Bilder spiegeln den wiederholten Augenblick des Zusammenseins von Mutter und Kind wieder. BetrachterInnen sind dabei BeobachterInnen von außen (der dritte Blick) und lösen diese Intimität auf. Der Künstlerin geht es um eine Verlangsamung, ein Anhalten der Hektik und Schnelllebigkeit (Virilios „Dromosphäre“ – Film in Zeitraffer – und davon das Gegenteil).

In der seriellen Intensität und den immer zur Zeit des Mittagsschlafs aufgenommenen Maletappen liegt auch der große Unterschied zu bekannten, meist nach spontanen Skizzen gemalten Kinderporträts der Barockzeit (Rubens, Rembrandt, Strozzi, Hals etwa) oder des Impressionismus und Expressionismus (Berthe Morisot, Paula Modersohn-Becker), denn es handelt sich nicht um die Absicht, ein Porträt zu erstellen (oder die Metapher von Jugend-Reife-Verfall). Auch die Ähnlichkeit ist wie schon in Judith Zillichs Selbstbildnissen nur eine Annäherungsform.

Die Künstlerin teilte mir nach der ersten Begegnung mit ihr und der intensiven Serie mit, dass ihr hinsichtlich des Themas Mutter-Kind oft inhaltliche Bedenken vermittelt wurden. Das liegt sicher an Innigkeiten, die man mit lieb, süß, herzig u. Ä. umschreibt – in der Gegenwartskunst gerade nicht die Eigenschaftswörter für Kunstaussagen. Weiters wird in unserem Kulturkreis natürlich auch die religiöse Komponente einbezogen: die all-weihnachtliche Wiederkehr von Bildern im Kerzenlicht; Maria und Jesusgeburt, Krippenkitsch etc. Zudem stehen wir an sich vor der historischen Belastung eines der ersten und ältesten Themen der künstlerisch gestaltenden Menschheit: die auf den Mittelmeerinseln, aber auch in der Wachau und Kleinasien gefundenen Kultfiguren der „Großen (dicken) Mutter“, oft mit Zwillingen, entstanden noch vor Isis und Osiris. Diese wiederum wurden, ins Christentum weiter vermittelt, zu einer Gestalt im Grundvokabular der weiblichen Götterwelt.

Judith Zillich geht es aber nicht um diese oder andere Inhalte und ganz sicher nicht um das Entblößen von privaten und intimen Empfindungen, sondern um eine Weiterentwicklung ihrer Malerei in einer Phase ihres Lebens, in der das Kind viel Zeit beansprucht und ihre Arbeitsstunden reduziert sind. So begann sie den Mittagsschlaf von Leander gleich von Anfang an zu nutzen, und die Beobachtung auf dem kleinen Format direkt wiederzugeben. Natürlich sind diese Stunden zu kurz, um auf einmal ein Bild zu beenden, daher entsteht es in vier bis fünf Etappen. Vorgezeichnet wird wenig, mit farbigem gelben Stift etwa, nur um die Komposition im Bildraum – passend in das quadratische Format – festzulegen. Der wesentliche „Rest“ ist wenig mit Malmittel angereicherte Ölfarbe, die in mehreren Schichten ganz dünn mit dem Pinsel aufgetragen wird. Dabei wächst die Figur mit dem Hintergrund zusammen, bzw. die Haut wird mehr als Farbträger empfunden denn als Raumdefinition allein. „Erkennen von Malerei ist ein Lernprozess des Sehens“ schreibt die Künstlerin. Die Arbeit mit einem Modell nach der Natur, und sei es sie selbst (250 Selbstbildnisse), ist für die Künstlerin von wesentlichem Interesse. Was sie nicht interessiert sind Erfindungen nach der Fantasie, große Malgesten oder Höhepunkte des Augenblicks, auch nicht die Arbeit nach Fotos, wie es in der neuen figuralen Malerei sonst Usus ist.

Die Bilder werden oft gedreht gehängt, wobei das Kind dann von der Horizontale in die Vertikale rückt, um dem Betrachter einen besseren Blickwinkel zu bieten. Wie in ihren Selbstbildnissen ist das schrittweise Erfassen der Realität ein jeweils sinnlicher Balanceakt zwischen jenem in sich Verharren und der Offenheit. Es sind dies die Pole, zwischen welchen die Künstlerin über Verhältnisse der Form, zwischen Fläche und Raum, Farbvaleurs etc. Gleichgewicht sucht. Sie schätzt das nicht Spektakuläre, Alltägliche, und will nicht zitieren und ironisieren wie viele postmoderne Positionen: das Gesehene soll direkt übertragen werden. Auch die Erzählung ist bis auf geringe Hinweise (durch den Zeitablauf des Seriellen) ausgespart. Malerei ist dabei ein Einstieg in einen annähernd euphorisch trance-haften Zustand, auch wenn die analytische und kritische Veranlagung Zillich in ihrer Selbstkonfrontation schon an den Rand der Auflösung brachte, was durch die Intensität der Beobachtung ja kein Wunder ist.

Das Quadrat empfindet sie als neutral. Ich möchte dem hinzufügen, dass es seit dem Jugendstil auch als weniger der Erzählung oder dem Raum verpflichtetes Format gilt (das auch an der Abstraktion teilhat). Nicht der optisch hereinwachsende Hintergrund oder vielleicht sogar eine Art von zentralperspektivischer Verkürzungen geben räumliche Hinweise – diese stammen allein von der Plastizität des Gesichts und der Körperteile. Die Diagonale ist nicht in den Raum gerichtet, sondern entsteht aus der Einpassung der Form (Figur) auf der Bildfläche, eine Farb- oder Luftperspektive bleibt ausgespart, die Dichte der Materie ist gleichwertig verteilt, auch Ausschnitte (Randüberschneidungen) sind nicht zu einer Dynamisierung da. Das ist umso erstaunlicher, da J. Z. vor allem in ihrer Studienzeit in Paris auch als Plastikerin parallel zur Malerei tätig war.

In einem Interview weist die Künstlerin auf die Autonomie im Malprozess hin, von der Leinwand bis zum letzten Pinselstrich kann sie ohne Labor und Hilfskräfte allein darüber verfügen, was ganz unzeitgemäß ist (ohne technische Hilfen der Neuen Medien oder zumindest der Fotografie. Dabei geht sie sogar bis vor Vermeer und die Holländer zurück, die auch Hilfsmittel, wie die Camera Obscura besaßen). Die eigenen Gesetzmäßigkeiten des Malens und die zweifache Wahrnehmung – die äußere rein optische und die innere emotionale – werden in ihrer Faszination daher das Portrait-hafte immer zurückdrängen und eine spezifische Atmosphäre für jedes einzelne Bild schaffen.

Zum Abschluss möchte ich noch zur Person erwähnen, dass die 1969 in Graz geborene Künstlerin auch Philosophie studiert hat, sowie Malerei bei Hutter und Herzig an der Angewandten. Vor Abschluss des Studiums 2000 (mit Auszeichnung) ging sie 1998 mit einem Auslandsstipendium an die Ecolé National Superiéure des Arts Décoratifs nach Paris; es gibt dem gemäß zahlreiche Ausstellungen quer durch Europa und die Teilnahme an SOHO in Ottakring, ihre Selbstbildnisse sind auch im Besitz von Bund, Stadt Wien und Land Salzburg .

Brigitte Borchhardt-Birbaumer