Judith Zillich, die am Beginn ihrer malerischen Laufbahn vor mehr als 20 Jahren jahrelang Selbstportraits malte, lernte vor zwei Jahren in einer einschlägigen Schule in Liviv (Ukraine) das Regelwerk des Ikonen-Malens. Der Grund, dorthin (aufgrund eines Auslandsstipendiums des Landes Salzburg) zu gehen, war für die Künstlerin das Interesse, alte Maltechniken zu lernen – für Ikonen hatte sie sich bis dahin eigentlich nicht interessiert, mehr noch: deren Gesichter fand sie vielmehr hässlich, die mitunter „Monstern gleichen“. Ihr Stipendium war dann freilich auch eine Sozialstudie orthodoxer Religion, geschlechtlicher Rollenbilder und sozialer Behaviours, die von Staunen bis Entsetzen ausgefüllt war. Der Dominanz der klerikalen Männer in der Ausübung der orthodoxen Liturgie mit ihren Gesängen und Riten auf der einen Seite standen in unmittelbarer Nähe die Malteams von Frauen gegenüber, die die Ikonen (akustisch untermalt vom Kuschelrock aus ihren Kopfhörern) in vielen handwerklichen Durchgängen malten, in einer ewig sich wiederholenden Tätigkeit, die ihnen das Leben sicherte.
Judith Zillichs Mut, den westlichen Freiheits- und auch Geschlechtsbegriff durch das freiwillige Aufnehmen eines rigiden Regelwerks zu hinterfragen, führte sie auf dem zweiten Blick also zu ganz neuen Möglichkeiten. Begegnet sind Judith Zillich nämlich nicht nur Reflexionen über „heilige Bilder“, sondern eingefallen ist auch die Erkenntnis, mit der Zerlegung in ihre Einzelteile ganz neue Bildwahrheiten schaffen zu können. Ikonen sind eigentlich abstrakte Gebilde, die dem menschlichen Gesicht ziemlich unähnlich sind, fand Zillich heraus. Und dennoch begann sie sich an dem Punkt für Ikonen zu interessieren, als sie verstand, dass es bei Gesichtern von Ikonen nicht um Ähnlichkeit, sondern vielmehr um Symbole geht. Das sogenannte „Schreiben von Ikonen“ führt Judith Zillich nämlich vor allem auch auf die ganz außerordentlichen Symbole zurück, aus denen sie bestehen. Sie finden sich im Mund, im Aug, in der Nase, überall, wo Linien die Flächen begrenzen oder strukturieren. Diese Erkenntnis führt sie an mehr als 100 Einzelbildern vor.
Dass Ikonen aus einem schier unerschöpflichen Symbolreservoir bestehen ließen die Künstlerin eigenständige Wege gehen, die sich von selbst ergaben und nun schon seit mehr als zwei Jahren andauern. Sie staunt selbst darüber, welchen Weg das seither nimmt. Und „Staunen“ befällt in dieser eigentümlich verhaltenen Art, Kunst zu machen, auch ihre Betrachterinnen und Betrachter.
Ikonengesichter haben als Basis die Farbe braun, woraus durch additivem Malverfahren schließlich ein Gesicht entsteht, „das immer ein Selbstportrait“ wird. Judith Zillich ist darin sehr erfahren, hatte sie doch jahrelang Selbstportraits gemalt.
Was sie über die Einzelteile aber hinaus interessierte, war schließlich die Beziehung von Mutter und Kind, auf die sich Judith Zillich nach und nach konzentrierte. Diese wird zu einem poetischen Glasperlenspiel mit mitunter unanständigen Ergebnissen. „Mich fasziniert, wie viel Gestaltungsraum für vielfältigste Emotionen sich mit diesen Zeichen entdecken lässt und welch komplexe zwischenmenschliche Zusammenhänge damit sichtbar gemacht werden können. So kann die ‚Mutter Gottes‘ als egoistisches Monster dargestellt werden, das sich die Hand des Kindes einverleibt, jedoch aufgrund der Harmonie der geraden Linien ihre Schönheit bewahrt. Ebenso kann die Linie eines emotionslosen Mundes in ihrer reduzierten Darstellung auch ein Piktogramm für einen Berg mit Gletscher sein, oder die Hälfte eines Gesichts eine tanzende Figur…“ (Judith Zillich)
Johannes Rauchenberger