Die Künstlerin Judith Zillich über das Archaische des Kinderkriegens, über Entschleunigung, Sinnlichkeit und über intime Malerei.
In der Stillphase mit ihren beiden Kindern malte die seriell arbeitende Wiener Künstlerin Judith Zillich täglich am Abbild ihrer Babys. Welche Erfahrung sie dabei im Atelier und in der Rezeption mit Kuratorinnen machte, warum sie das Mutterthema für ein im besten Sinne unzeitgemäßes Thema hält, wie sie Variationen der Balance zwischen Geben und Nehmen, Nähe und Distanz gerade am Thema der Haut malerisch umsetzt und warum sie frühere Madonnenbilder durchaus kritisch sieht, erzählt Judith Zillich im Gespräch mit „Kunst und Kirche“.
KuK: Frau Zillich, Ihre künstlerische Arbeit zeichnet sich bislang durch eine konsequente Beharrlichkeit an einzelnen Bildmotiven aus: Derzeit sind es Männerbilder. Aber es ist genaugenommen nur ein Mann, der Modell steht, und er ist kein Renaissance-Jüngling, sondern durchaus reifen Alters –50-jährig… Was fasziniert Sie an einer so kontinuierlichen malerischen Arbeit am Körper?
JZ: Mich interessiert Haut in all ihren Farbschattierungen, als Membran zwischen innen und außen, auch als Reflektor des jeweiligen Umfelds. Die großen Hautflächen z. B. eines Rückens erlauben ganz andere malerische Lösungen als die Feingliedrigkeit von Gesicht oder Händen. Haut ist etwas individuell Buntes, Verletzliches, Vergängliches, individuell Duftendes, das sich unter dem Einfluss von Wärme und Licht ständig in Veränderung befindet. Zusätzlich ist Haut konfrontiert mit Kleidung oder einem Raum mit Möbeln. Die Begegnung der Haut mit der Umwelt – in den Stillbildern sind es beispielsweise Haut und Kleidung der Mutter – und die Umsetzung dessen in Malerei interessieren mich seit meinem Studium.
Anfangs war es Ihr Gesicht. Danach Ihre Kinder. Und immer ist es eine ganze Anzahl von Bildern, die daraus hervorgehen. Welcher Zugang zur Malerei ist das für Sie?
Bereits während der Arbeit an einem Bild bekomme ich Lust, dasselbe Motiv in eine andere Farbigkeit getaucht oder von einem anderen Blickwinkel aus gesehen nochmals zu probieren und vielleicht noch besser auf den Punkt zu bringen. Es ist faszinierender Weise unmöglich, ein Bild zu wiederholen. Nicht einmal eine exakte Kopie eines gemalten Bildes ist mir gelungen. Aber das Konzept der Wiederholung eines Motivs verdichtet den Arbeitsprozess und bietet gleichzeitig die Möglichkeit – vielleicht ähnlich wie bei der Meditation eines Gebets – ganz bei sich zu sein sowie im idealen Fall von sich selbst „abzuheben“.
Die Vernetzung mit Freunden und Kollegen ist in diesen ersten Jahren als Mutter aber zu kurz gekommen. Obwohl ich mit meiner Arbeit zufrieden war, bin ich, was die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit betrifft, im Vergleich zu manchen kinderlosen Kolleginnen und Kollegen ein bisschen in Vergessenheit geraten. Als Mutter und Künstlerin musste ich zu dieser Tatsache einen Standpunkt suchen, um nicht unzufrieden zu werden. Ich musste lernen, von Lob und Anerkennung sehr unabhängig zu werden und – so idealistisch das klingen mag – den Sinn und die Freude an der Arbeit in der Arbeit selbst zu finden.
Von mir aus hätte ich Lust, Tag und Nacht nur mehr im Atelier zu sein um zu malen. Die Erfahrung hat aber gezeigt, dass mein innerer Ofen dabei ausgeht und sich eine Art burn-out einstellt. Die Kinder helfen mir, eine gesunde Balance zwischen Input und Output in meinem Leben zu wahren.
Werden Mütter mit kleinen Kindern auf einer Kunst-Akademie eigentlich akzeptiert? Welche Rollen haben Frauen mit Kindern dabei eigentlich zu spielen?
Einige Künstlerinnen, die sich zugunsten der Kunst gegen Kinder entschieden haben, thematisieren in ihrer künstlerischen Arbeit ihren Verzicht. Dem Mutter-Kind-Thema entkommt kaum eine Frau im Lauf ihres Lebens, so oder so. Ohne Mitarbeit und Unterstützung des Vaters wäre es mir jedoch nicht möglich gewesen, von der Geburt der Kinder an neben dem Mutter-Sein Künstlerin zu bleiben und die Kinder neben allen Strapazen auch zu genießen.
Die Gesellschaft erwartet, dass mit der Geburt eines Kindes das große Glück ins Leben einer Frau hereinbricht – zumindest die Werbung suggeriert solche Bilder. Die „Kunstszene“ erlebe ich so, dass sie von einer Frau beinahe erwartet, an einem Kind zu scheitern, und sollte sie das „Kind-Haben“ thematisieren, dann als Belastung oder als Angst vor einem Kind. Wir leben in einer kinderfeindlichen Gesellschaft, und das zeigt sich nach meinen Erfahrungen auch in der Kunst.
In meinen Bildern sind aber weder unreflektiertes Glück (lachender Mund, strahlende Augen) zu sehen, noch die reine Belastung. Zu sehen sind Variationen der Balance zwischen Geben und Nehmen, Nähe und Distanz. Körperliche Nähe durch das Tragen – Distanz durch das kleine, abschneidende Format und die Anordnung von Kleidung im Bild. Zu sehen ist, was ich gesehen habe. Ich bin nicht mit fertigen Vorstellungen auf meine Motive zugegangen, sondern habe mich ihnen ausgesetzt und quasi abgemalt, was sie in mir ausgelöst haben.
Im Englischen meint „Mothering“ einen viel umfassenderen, dynamischeren Prozess des Leben-Bringens und in das Leben Hineinbegleitens. Ist dieser andere Begriff, „Mutter“ zu umschreiben für Sie auf das Inspirationsmodell des/der Kunstschaffenden produktiv umzulegen?
Das romantische Künstlerbild, das immer noch nachwirkt, sieht einen Künstler vor, der sich für seine Berufung opfert. Inspiration bezieht er aus dem Leiden und aus seinen die Gesellschaft verstörenden Grenzüberschreitungen, die daraus resultieren. Insofern erfüllt er eine Rolle, die die Gesellschaft von ihm erwartet, die sie vielleicht sogar benötigt, weil ihr der Künstler in dieser Rolle transzendente Überschreitungen abnimmt. Glück ist nicht vorgesehen. Ein sexuell ausschweifendes Leben passt ins Bild des ruhelos Suchenden. Seine Kinder darf er zugunsten seiner Berufung vernachlässigen. Das romantische Künstlerbild erlaubt dem Künstler lebenslängliche Pubertät, er muss für nichts Verantwortung übernehmen.
Ich will mich als Künstlerin hingegen mit dem Leben in seiner gesamten Breite auseinandersetzen. Am meisten sagen kann ich zu erlebten körperlichen und seelischen Erfahrungen. Und ich will mich im Versuch einer ganzheitlichen Entwicklung als Künstlerin und Frau von den Interessen des Kunstmarkts und den Erwartungen der Gesellschaft, die sich in eng umgrenzten Rollenzuschreibungen äußern, nicht beschneiden lassen.
Welchen Stellenwert hat die Langsamkeit in Ihrer Arbeit? Was an Ihrer Arbeit u. a. berührt, ist das Nicht-Spektakuläre, dem Ihre Zuwendung gilt. Ohne Zitat, ohne Anlehnung, ohne Ironie. Selbst Erzählerisches wird ausgespart: nur das Schlafen und das Trinken sind da, eine extreme Verlangsamung des Lebens, das man im Anblick eines Säuglings offenbar lernt. Vor diesen Stillbildern malten Sie rund 250 Selbstbildnisse. Welchen Wert hat die Arbeit des Seriellen in Ihrer Kunst, kann man sich das fast mantra-artig vorstellen?
Das Interessante am „Kinder-Kriegen“ war für mich als Künstlerin das Herauskippen aus einem leistungsorientierten, geradlinigen, kopflastigen Leben (immer/besser/mehr) in eine körperliche, unkalkulierbare, verlangsamte, von sinnlichen Bedürfnissen und Begrenzungen bestimmte Zeit, wobei ich aber an der Leistung des regelmäßigen Malens festgehalten habe. Gebären und Stillen sind etwas Archaisches, Subversives, Tierisches, Unkultiviertes – in vielerlei Hinsicht ein reicher Fundus für Kunstschaffende. Zugleich aber sind diese Tätigkeiten auch unzeitgemäß und leistungsfeindlich. Die Gesellschaft scheint ihnen auszuweichen – im Gegensatz beispielsweise zu Darstellungen von Pornographie und Gewalt, die ihren Platz in Ausstellungen und Museen gefunden haben.
Die Entschleunigung, die man mit einem Säugling erlebt, entspricht aber auch meiner generellen Herangehensweise an die Malerei: an den kleinen Stillbildern habe ich durchschnittlich je eine Woche gearbeitet. Nachdem ich die Leinwand selbst hergestellt und mit Buntstift die Bildkomposition festgelegt habe, baue ich meine Bilder gerne in feinen, ineinandergelegten Farbschattierungen auf. Ich arbeite nur in Ölfarben, die immer wieder Zeit zum Trocknen brauchen. Die Trockenzeiten sind wichtige Pausen, in denen ich das im Entstehungsprozess befindliche Bild kennenlernen, dem subjektiv spontanen Beginn eine objektive Richtung geben kann. Am Medium der Malerei faszinieren mich das Handwerkliche sowie die Möglichkeit, von technischen Hilfsmitteln unabhängig arbeiten zu können.
Malten Sie Ihre Stillbilder eigentlich nach Fotos? Haben Sie konkrete Hilfsmittel? Wie kann man sich diesen Prozess des Malens mit einem Kind vorstellen? Hat man als Mutter in dieser Zeit überhaupt die „Muse“ so konsequent seine eigenen Kinder zu malen? Fotos sind ein Abbild, eine Kopie des Gesehenen. Malerei jedoch übersetzt Gesehenes in Farbe und bewirkt beim Betrachter die Illusion, etwas zu erkennen. Malerei lebt vom Dialog mit dem Betrachter wobei der Zugang zu einem Bild je nach Bildungsund – Erfahrungshintergrund des Betrachters verschieden ist.
Ich male nie nach Fotos, weil sie mich als Vorlage langweilen. Die lebendige, sich in ständiger Veränderung befindliche Wirklichkeit ist eine spannendere Herausforderung für mich. Bei den Tragetuch-Bildern bin ich mit dem eingeschlafenen Kind vor dem Spiegel gesessen. Beim Stillen habe ich – während das Kind auf meinen Knien gelegen und von meiner Armbeuge gehalten wurde – in einer Hand das Bild und in der anderen Hand die Pinsel gehalten. Diese Bilder sind alle zur Zeit des Mittagsschlafs entstanden. Ich konnte gemeinsam mit dem eingeschlafenen Kind täglich ca. eine Stunde lang in einer Stellung verharren und arbeiten. Anstrengend war das schon, manchmal bin ich für ein paar Minuten im Sitzen reagieeingeschlafen. Ich habe damals gelernt, in kurzer Arbeitszeit sehr konzentriert viel weiterzubringen. Während ich für die Malerei ein lebendes Modell brauche, entwickle ich meine Tonskulpturen in einem rein intuitiven Prozess. Die Skulpturen drücken körperliche Befindlichkeiten aus, die über das Gesehene hinausgehen.
Mehr als 150 Bilder entstanden während der Stillphasen Ihrer beiden Kinder, das ist in anbetracht der Strapazen in dieser Zeit eigentlich eine unglaubliche „Arbeitsleistung“. Auch fällt eine typische Farbigkeit zwischen dem Inkarnat der Hautfarbe und dem zart pastelligen Blau auf. Sie zeigen hier Ihre Meisterhaftigkeit als Malerin, der es auch um Probleme der reinen Malerei geht: die Beobachtung der Realität, die Umsetzung in formale Strukturen, das immer gleiche quadratische Format. Das scheint über rein psychische Empfindlichkeiten hinauszugehen. Und doch…
Die Kraft der Malerei resultiert aus dem Umstand, dass man nur malen kann, was man selbst empfunden oder verstanden hat. Für ein Foto kann es genügen, intuitiv abzudrücken, ohne über die fotografierte Szene Bescheid zu wissen. Als Malerin muss ich bereits vor Arbeitsbeginn viele Entscheidungen treffen und zu den Fragen der Bildgröße, dem Bildausschnitt, meinem Verhältnis zum Dargestellten, der Bildkomposition und der Frage: was wird weggelassen, was hinzugefügt, einen eigenen Standpunkt beziehen. Nicht zuletzt muss man darüber nachgedacht haben, ob es überhaupt Sinn macht, ein Bild zu malen und ob eine Figur im Bild behauptet werden kann. Das Format des Quadrats hat etwas in sich Ruhendes, da es keine Richtung vorgibt. Für Portraits eignet sich das Quadrat, um den Kopf nach oben hin abzuschneiden, um unnötige Informationen außerhalb des gezeigten Bildes zu belassen.
„Ihre Mutter-Kind-Bilder haben natürlich eine unwiderstehliche Analogie zur Tradition der Madonnenbilder abendländischer Malerei. Aber der kleine Unterschied ist doch die Künstlerin selbst, die eben kein Maler, sondern eine Malerin, die nicht das Muttersein an sich in ein Thema projiziert, sondern die ganz hautnah Mutter ist.“
Madonnen wurden fast ausschließlich von Männern gemalt, wobei das Kind u. a. als Puppe, Fremder, Erwachsener oder Liebhaber der Mutter dargestellt wurde, woraus sich eventuell Rückschlüsse auf die Mutter-Sohn-Beziehungen der Künstler ziehen lassen. Zum Teil sind für die Madonnen Männer Modell gestanden. Ich hingegen habe mich selbst in partnerschaftlicher Beziehung zu meinen Kindern gemalt.
„Romantische“ Mutterbilder sind hierzulande noch immer mit dem Schatten des Nationalsozialismus belegt. Und war es in den 70-er, 80-er Jahren lange Zeit verpönt, ein Kind zu haben, ist es inzwischen schick geworden mit einem Kind am Boulevard zu prahlen. Wie soll man da als Künstlerin reagieren? Und: Ist die archaische Erfahrung des Gebärens, Stillens, Sorgens nicht so stark, dass es affirmative – wörtlich übersetzt bestärkende – Bilder braucht?
Ich male nicht, um Politik in die eine oder andere Richtung zu machen. Ich versuche, mit Hilfe der Malerei einen ehrlichen Standpunkt gegenüber dem Leben und dem mich umgebenden Umfeld zu finden. Thema wird, was mir mein Leben zuträgt, mich interessiert, inspiriert und berührt. Wenn Betrachter darauf mit Offenheit reagieren, fühle ich mich am richtigen Weg. Für das „objektive Urthema“ interessiere ich mich nach wie vor. Immer wieder zeichne ich Madonnen-mit-Kind Darstellungen anderer Künstler früherer Epochen ab, besonders interessant finde ich Holzskulpturen zu diesem Thema aus dem Mittelalter. Und ich habe schon das Gefühl, zu diesem Urthema einen sinnvollen Beitrag geleistet zu haben.
Die Stillbilder liegen nun schon einige Jahre zurück. Nimmt man da ein Stück Geschichte hervor, wenn man sie wieder zeigt? Wie ist das Verhältnis von subjektiv Erlebtem als Mutter, die zugleich Malerin war und den Bildern, die ein „objektives“ Urthema gestalten?
Tragetuch- und Stillbilder mit meinem zweiten Kind wollte ich u. a. aufgrund von Zeitnot auf das Wesentlichste reduzieren, also kleiner und konkreter malen, während die Serie zum ersten Kind malerischer ist und meine das Kind haltende Hand in die Komposition miteinbezogen ist. Das Subjektive ist gerade in diesen Bildern sehr reduziert, da ich ja nur malen konnte, während die Kinder geschlafen haben. Die Kinder waren während des Malens mit ihren Augen nicht aktiv präsent. Die physische Ähnlichkeit mit meinen Kindern war mir nicht das Wichtigste, wobei man sich vielleicht prinzipiell an Gesichter weniger erinnern kann als an das, was man beim Anblick eines Gesichts empfunden hat. Obwohl die Bilder konkret sind, gehen sie über das Gesehene hinaus. Einige meiner Stillbilder habe ich auch im Nachhinein in einer abstrakteren Variante nochmals gemalt um zu sehen, was sich verändert hat.
Das Gespräch führte Johannes Rauchenberger
Springer-Verlag kunst und kirche 03/2010 23